Bibliotheken als Wissensspeicher
Ausschnitt aus einem Stadtplan von 1648 (1)
Hof der Ratsbibliothek „NOR. BIB.“ im 17. Jahrhundert (2)
Wissen und Erfolg waren in Nürnberg als Stadt der Kaufleute und Handwerker immer eng miteinander verbunden. Sie waren beruflich viel unterwegs und brachten neues Wissen über aktuelle Erfindungen sowie über politische Entwicklungen mit nach Hause. Sie schrieben zahlreiche Briefe und es ist bemerkenswert, dass solche Materialien bis heute in Bibliotheken, Archiven und Museen aufbewahrt werden, obwohl sie zunächst recht unscheinbar und vielleicht sogar unwichtig erscheinen mögen. Deshalb lohnt es sich besonders, in Nürnberg und in der Universitätsbibliothek der Nachbarstadt Erlangen nach Fakten über Leben und Werk der Merianin zu suchen. Beispielsweise hat die Mehrheit der bisher bekannten Merianin-Briefe hier die Jahrhunderte überdauert.
Bücher als „Wissens-Speicher“ zu sammeln, war in Nürnberg schon seit dem Mittelalter populär, als alles mit der Hand geschrieben werden musste. Die Nürnberger Stadtbibliothek feiert 2020 ihr 650-jähriges Bestehen. Nach Schließung der Klöster im 16. Jahrhundert war diese wachsende Bibliothek über Jahrhunderte in den weitläufigen Gebäuden des ehemaligen Predigerklosters unmittelbar nördlich des Rathauses untergebracht. Man hat zwar keine Urkunde als offizielles Gründungsdokument gefunden, aber eine kleine Urkunde von 1370 mit einem Siegel dokumentiert eine Ausleihe. Dieser „Leihschein“ in Deutsch (nicht in Latein!) beweist, dass die Ratsbibliothek damals schon bestand.
Beleg für eine Ausleihe aus der Ratsbibliothek (1370) (3)
Aus verschiedenen historischen Quellen können wir rekonstruieren, dass viele Nürnberger im 17. Jahrhundert eifrige Büchersammler waren. Sie waren stolz auf die Bestände ihrer Privatbibliotheken und liehen sich gegenseitig Bücher aus, zu denen nicht nur theologische und juristische Werke gehörten. Im naturwissenschaftlichen Bereich waren Fachbücher der Medizin und Geographie, aber auch der Botanik sehr gefragt. Insgesamt sind siebzig Privatbibliotheken im späten 17. Jahrhundert nachgewiesen, als die Merianin in Nürnberg lebte.
Einer der eifrigsten Büchersammler im 17. Jahrhundert war Professor Christoph Arnold, der – abgesehen von ihrem eigenen Ehemann – der wichtigste Berater und Förderer der Merianin war. Er war Lehrer am Egidiengymnasium, Diakon der Frauenkirche, fünftes Mitglied des Pegnesischen Blumenordens, der berühmten Gesellschaft für die Förderung und Verbesserung der deutschen Sprache, die bis heute besteht.
Arnold kannte nicht nur die Namen der Autoren, sondern bewahrte mehrere dieser lateinischen, englischen, niederländischen, italienischen und spanischen Werke in seiner Privatbibliothek auf. Seine Sammlung umfasste etwa 9.500 gedruckte Werke; und dies war damals nur eine der vielen Privatbibliotheken in Nürnberg. Zweifellos war Maria Sibylla mit solchen bibliophilen Schätzen vertraut und schaute sich die Seiten mit Abbildungen von Insekten und Spinnen genau an.
Aber die Nürnberger waren nicht nur eifrige Sammler, sondern auch fleißige Produzenten von Büchern. So gab beispielsweise schon 1613 der Nürnberger Apotheker, Botaniker, Sammler und Kupferstecher Basilius Besler (1561-1629) im Auftrag des Bischofs von Eichstätt das Prachtwerk „Hortus Eystettensis“ heraus. Das Werk zeigt Pflanzenarten aus aller Welt. Es war ein botanisches Mammutwerk mit einer Erstauflage von 300 Exemplaren – ein für die damalige Zeit gigantisches Projekt. Es war so umfangreich, dass ein Teil in Nürnberg und ein anderer Teil in Augsburg gedruckt wurden. Auf 366 Seiten (für jeden Tag im Jahr) wurden über 1000 Pflanzen aus aller Welt im Jahresverlauf auf Kupferstichen dargestellt. (4)
Der Fürstbischof von Eichstätt scheute keine Kosten, um mit diesem Werk zu jeder Jahreszeit und ohne Besuch vor Ort zeigen zu können, welche Schätze sein Garten unterhalb der Willibaldsburg beherbergte. Noch 50 Jahre später wurde das Buch in Nürnberg fleißig koloriert (= illuminiert). Ein solch wunderschönes farbiges Exemplar kostete so viel wie ein kleineres Haus in Nürnberg.
Kupferstiche aus dem Hortus Eystettensis, Augsburg und Nürnberg 1613 (5)
Vielleicht hat Maria Sibylla schon in Frankfurt, bestimmt aber in Nürnberg ein solches Exemplar anschauen können und sogar ihrer Schülerin Magdalena Fürst über die Schulter geschaut, wie sie in jahrelanger Arbeit bis 1677 ein Exemplar sorgfältig kolorierte (= illuminierte).
In einer Stadt, in der naturwissenschaftliche Veröffentlichungen entstanden und erfolgreich waren, konnte Maria Sibylla mit sehr viel Interesse für ihre eigenen Bücher rechnen. Auf den verschiedenen Titelblättern wird die jeweilige Kundschaft angesprochen.
- Die Blumenbücher waren bestimmt für die „lehrbegierige Jugend, Frauenzimmer und kunstverständige Liebhaber, also an Laien“.
- Die Raupenbücher richteten sich dagegen an Fachleute und fachkundige Gartenbesitzer: „Naturkündiger, Kunstmaler und Gartenliebhaber“.
Diese Bücher wurden alle in Nürnberg gedruckt (6). Für die Raupenbücher finden wir sogar die Namen der Drucker auf den Titelblättern: Andreas Knortz und Joh. Michael Spörlin (vgl. Kapitel Nürnberger Werke/138 Kupferstiche).
Auch ihr Meisterwerk über die surinamischen Insekten (1705) fand Beachtung in Nürnberg und wurde sogar schon drei Jahre später in dem großen Werk der „Nürnbergische Hesperides“ von Johann Christoph Volkamer erwähnt, das als Standardwerk der Gartenkunst mit Zitruspflanzen des 18. Jahrhunderts gilt. Die Werke der Merianin gerieten – zumindest in Nürnberg – auch in den folgenden Jahrhunderten bis heute nie in Vergessenheit.