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Nürnberger Werke

138 Kupferstiche

BEOBACHTEN – DARSTELLEN – BESCHREIBEN

Aus Maria Sibyllas Zeit in Nürnberg stammen fünf Veröffentlichungen zusammen mit ihrem Mann als Verleger. Sie wurden alle der damaligen Zeit entsprechend ungebunden –, sozusagen als „Lose-Blatt-Sammlung“ – verkauft. Ihre drei Blumenbücher entsprachen im Stil den Drucken, die auch schon Matthäus Merian der Ältere in Frankfurt und dessen Schwiegervater Johann Theodor de Bry angeboten hatten.

Die Blumenbücher

1675: Erste Ausgabe des „Blumenbuchs“ = Florum Fasciculus Primus mit zwölf Kupferstichen, die sich gut zum Illuminieren und Nachsticken für fleißige Jungfern eigneten.

1677: Fortsetzungsausgabe des „Blumenbuchs“. Anscheinend war die Nachfrage so erfreulich groß, dass sich mit Florum Fasciculus Alter weitere zwölf Kupferstiche lohnten und der Erfolg ging weiter.

1680: Florum Fasciculus Tertius enthielt wiederum zwölf neue Kupferstiche, und gleichzeitig wurde „Das Neue Blumenbuch“ als Gesamtlieferung aller 36 Kupferstiche angeboten (1).

Je nach Geschmack und Geldbeutel konnte sie der Kunde als Bündel Blätter unkoloriert oder – viel teuer – mit Farben „illuminiert“ erwerben und selbst einem Buchbinder anvertrauen. In der Staatsbibliothek Bamberg wird je ein Exemplar der ersten drei unkolorierten Ausgaben aufbewahrt, die durch Maria Sibyllas Können als Kupferstecherin bestechen.

Ihre große Begabung bei der Kolorierung ist an einem der wenigen erhaltenen farbigen Exemplare des „Neuen Blumenbuchs“ mit seinen drei Titelkupfern in der Landes-und Universitätsbibliothek Dresden zu bewundern. Nach Meinung der Fachleute wurden sie von Maria Sibylla selbst illuminiert. Die Gegenüberstellung der Titelkupfer dieser Ausgaben zeigt die höchste Qualität der Künstlerin in beiden Techniken.

Titelkupfer der drei Blumenbücher von 1675, 1677 und 1680, Exemplare in Bamberg (2)

Zweite Ausgabe als dreiteiliges „Neues Blumenbuch“ mit Titelkupfern für jeden Teil, Exemplar in Dresden (3)

Die Raupenbücher

Mit ihren Raupenbüchern, die sie ebenfalls in Nürnberg konzipiert, gestochen und im Textteil durch Buchdrucker hatte setzen lassen, verließ Maria Sibylla bisher gewohnte Pfade. Ihre Kupferstiche zeigen die Entwicklung (Metamorphose) von Insekten, angefangen mit Eiern über Raupen, Puppen bis zu Schmetterlingen oder Käfern und anderen Insekten, zusammen mit den jeweiligen Wirtspflanzen, von denen sich die Raupen ernähren. Diese Darstellung von Ungleichzeitigem auf demselben Blatt musste erklärt werden. Maria Sibylla ergänzte jede Abbildung mit einer ausführlichen Beschreibung auf einem zweiten Blatt – sie wurde zur Sachbuchautorin mit einer neuartigen Kombination von Text und Bild zum Thema der Insektenbeobachtung.

Erstes Raupenbuch 1679: „Der Raupen Wunderbare Verwandelung und Sonderbare Blumennahrung“
Auf den unteren Enden der Zweige eines Maulbeerbaums, die diesen Text einrahmen, ist – fast versteckt – zu lesen:
Mar-Sibill Gräffin / geb: Merianin

Es gibt im Raupenbuch keinen lateinischen Text mehr, jeder soll ihre klar und unkompliziert formulierten Texte zu den 51 Kupferstichen (einschließlich Titelkupfer) verstehen können, auch ihre Schülerinnen, die ‘Jungfern Combanny’.

Im Vorwort wendet sie sich direkt an die „Hoch=Verehrten Kunst=liebenden Leser“ und verspricht für die Zukunft „… weiter fleissig abzuzeichnen: Und mir ferner fürgenommen / bey jeglicher Gattung / mit wolgeleisteter Hülfe meines Eheliebsten / dero nach dem Leben abgemahlte Speisen hinzu zu fügen.“ (4)

Die Erwähnung von Hilfe, insbesondere beim Zeichnen der Pflanzen („Speisen“) auf den Entwürfen, ist eine große Ausnahme bei Maria Sibylla. Wenn sie uns überhaupt einen Einblick in ihre Arbeit und ihr Leben gewährt, formuliert sie fast immer in der Ich-Form. Erstaunlicherweise wird sie später sogar ihre jüngere Tochter als Begleiterin auf ihrer zweijährigen Expedition nach Surinam verschweigen, obwohl diese ihre wichtigste Mitarbeiterin war. Die schwer erkrankte Mutter hätte die lange, beschwerliche Schiffsreise zurück nach Amsterdam ohne Hilfe der Tochter wohl kaum überlebt.

Titelkupfer des ersten Raupenbuchs, Exemplar in Erlangen (5)

Titelkupfer des Zweiten Raupenbuchs, Exemplar in Erlangen (7)

Ihre Zusage weiterer Insektenbeobachtungen hielt sie, und nur vier Jahre später erschien ihr zweites Raupenbuch, wiederum verlegt von ihrem Mann:

Zweites Raupenbuch 1683: „Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung Anderer Theil“
Unter dem prächtigen Blumenkranz nennt sie sich selbst als Kupferstecherin: „Maria Sibylla Gräffin sculpsit“

Auch diese weiteren 51 Stiche sind (ohne Texte) wohl im Haus „am Milchmarkt“ gedruckt worden, denn die Universitätsbibliothek Erlangen besitzt ganz seltene Umdruck-Exemplare (6) des ersten und zweiten Raupenbuchs, also Abdrucke (Abklatsch, counter print), mit einem speziellen Druckverfahren nicht direkt von den Kupferplatten, sondern vom noch feuchten soeben bedruckten Papier auf ein zweites ebenfalls angefeuchtetes Papier mit nochmaligem Pressen.

Maria Sibylla schätzte diese Umdrucke besonders wegen der feinen Konturen als Grundlage zum Illuminieren. Dieses Umdruckverfahren war zu ihrer Zeit noch nicht verbreitet, erforderte große Sorgfalt und eine besonders ausgewogene Komposition ohne jeglichen Text, weil die Ergebnisse der Druckerpresse immer spiegelbildlich sind.

Die Nürnberger Buchdrucker

Für die Textteile, die außer Haus vergeben wurden, sind zwei verschiedene Drucker genannt, die beide nach Nürnberg zugewandert waren, und die ganz unterschiedliche Startbedingungen hatten. Beide sind ein gutes Beispiel für die Bandbreite von Chancen und Risiken für Zuwanderer in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts:

Erstes Raupenbuch: „Gedruckt bey Andreas Knortzen / 1679“

Knortz aus Kulmbach bemühte sich mehrere Jahre lang vergeblich um die Genehmigung einer eigenen Druckerei (= Offizin) in Nürnberg. Erst als der kaiserliche Hof in Wien seinen Antrag annahm und für die Umsetzung ein Ultimatum setzte, gab der Nürnberger Rat seinen Widerstand gegen diese unerwünschte Konkurrenz für die heimischen Drucker auf und ließ ihn ab Ende 1676 drucken. Allerdings gefielen dem Rat einige seiner Druckerzeugnisse nicht (z. B. über den Deutschen Ritter-Orden oder einen englischen Wahrsager), manches wurde konfisziert, und Knortz wurde auch mit kurzfristiger Turmhaft bestraft.

Der Druckauftrag von Graff-Merianin für ein Buch, das keinen religiösen Anstoß erregen konnte, kam in dieser schweren Anfangszeit wohl gelegen. Nach seinem Tod führten seine Witwe und sein Sohn die Offizin noch mehr als 20 Jahre weiter. (8)

Zweites Raupenbuch: „Gedruckt durch Joh. Michael Spörlin / 1683“

In der Literatur wird meistens davon ausgegangen, dass das zweite Raupenbuch in Frankfurt gedruckt wurde, weil die Graff-Merianin-Familie 1683 schon nach Frankfurt umgezogen war. Tatsächlich war jedoch die Spörlin-Werkstatt in Nürnberg, und hier wurde gedruckt. (9)

Als Sohn eines Frankfurter Druckers kam Spörlin nach Nürnberg und heiratete 1682 die Witwe eines Nürnberger Druckers. Dies war der einfachere Weg für einen Zuwanderer zu einer eigenen Werkstatt. Spörlin hatte offensichtlich keinen solch schweren Start wie Knortz. Der Rat und die Konkurrenten ließen Gesellen, die eine Meisterwitwe heirateten und dadurch versorgten, meistens die Werkstatt weiterführen. Witwen durften sogar selbst für eine gewisse Zeit eine Werkstatt leiten, wenn Aussicht auf einen Sohn als späterem Nachfolger bestand – so auch die zweite Frau von Spörlin, die den Witwer heiratete und die ihn überlebte. (10)

  1. Gräffin, M. S. (MSM 1680), Neues Blumenbuch, reproduziert nach dem Exemplar der Sächsischen Landesbibliothek … 2010, siehe Literaturverzeichnis
  2. Staatsbibliothek Bamberg, Sig. Bip.Bot.q.63#1 bzw. …#2, …#3, urn:nbn:de:bvb:22-dtl-0000002841, urn:nbn:de:bvb:22-dtl-0000002887, urn:nbn:de:bvb:22-dtl-0000002851
  3. SLUB Dresden, Sig.Botan.84,misc.1, PURL: http://digital.slub-dresden.de/id375332529
  4. Gräffin, Maria Sibylla (MSM 1683) Zitat aus dem Vorwort: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/merian1679bd1/0005/image
  5. Gräffin, Maria Sibylla (MSM 1679) Titelkupfer des ersten Raupenbuches; mit freundlicher Genehmigung der UBErl, Handschriftenabteilung, Sign. H62 / CIM.P 38
    Es handelt sich um ein zeitnah zum Druck handkoloriertes Exemplar des Nürnberger Arztes Dr. Johann Georg Volkamer des Jüngeren, das in seinen Farben über Jahrhunderte seine besondere Leuchtkraft bewahrt hat. Der Bruder des Arztes, Johann Christoph Volkamer, war ab 1680 verheiratet mit Regina Catharina Auer. Sie war die Schwester der Patin der zweiten Merianin-Graff-Tochter, die den Farben- und Naturalienhandel der Merianin übernommen hatte. Wahrscheinlich hat Dr. Volkamer aus dieser Quelle seine besonders qualitätvollen Farben bezogen. vgl. auch https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/frankfurt/content/titleinfo/4655656
  6. Umdrucke (nicht illuminiert) vom ersten und zweiten Raupenbuch in der Universitätsbibliothek Erlangen, Trew Bibliothek, (Sign. P 73 + 74)
  7. Gräffin, Maria Sibylla (MSM 1683) Titelkupfer des zweiten Raupenbuches; mit freundlicher Genehmigung der UBErl Handschriftenabteilung, Sign. H62 / CIM.P 39; vgl.auch: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/frankfurt/content/titleinfo/4776858
  8. Reske (Kun 2007) S. 738 ff; Stichwort: Andreas Knorz (Knortz)
  9. Sauer (Lit 2014) S. 192
  10. Reske (Kun 2007) S. 745, Stichwort: Johann Michael Spörlin
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