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Stadt der Gartenkultur

Äpfel und Pomeranzen

Paradies für Schmetterlingsforscher

Schon seit dem Mittelalter war Nürnberg eine Stadt der Gärten. Mit wachsender Bevölkerung und verdichteter Bebauung wurden viele Gärten vor die Stadtmauer im geschützten Bereich des vorgelagerten Verteidigungsrings bis zur Landwehr mit den Schanzen verlegt. Dort schufen sich nicht nur die reichen Ratsfamilien, sondern auch Beamte, Ärzte, Juristen, Handwerker und Gastwirte ihre kleinen Paradiese jenseits der im Sommer stickigen und übelriechenden Stadt.

Johannisgärten zwischen Johannisfriedhof (links oben) und Hallertürlein (Mitte rechts unten)
In der Mitte unten direkt über dem Fluss die Hallerwiese, Nürnbergs erster öffentliche Park seit 1432

Der geniale Zeichner Hans Bien hat dem grünen Gürtel der Gärten in der Zeit des 30-jährigen Kriegs eine besondere Darstellung gewidmet, von der hier der Ausschnitt zwischen dem Hallertürlein bis zum Johannisfriedhof gezeigt wird: Innerhalb der Stadtmauer hat Bien nur bedeutende Bauwerke wie Kirchen genau dargestellt, während vor der Stadtmauer in den parzellierten Gärten alles genau bis in kleine Details zu erkennen ist: Die Sommerhäuser an der Straße mit den Nebengebäuden in L- oder U-Form, die Terrasse hinter dem Haus mit der Balustrade und der untere Teil des Gartens, der oft landwirtschaftlich genutzt wurde und in dem Obst und Gemüse geerntet wurde. Die südliche Hanglange der Gärten fing die Wärme ein und begünstigte das Wachstum der kostbaren Zitrusbäumchen, die im Winter in einem geheizten Nebengebäude geschützt werden mussten.

Während des Dreißigjährigen Kriegs wurden viele Gärten beschädigt, Sommerhäuser mussten sogar abgerissen werden, um freies Schussfeld für die Verteidigung zu gewährleisten. Aber es waren meist Fachwerkhäuser, deren Balken sorgfältig aufgewahrt wurden. Als die Merianin 1668 nach Nürnberg kam, waren sie längst wieder aufgebaut, und die Gärtnerei wurde wieder zur herrschenden Leidenschaft der Nürnberger aus den oberen und mittleren Ständen.

Die in der oberen Abbildung gezeigten westlichen Sommergärten sind nur ein kleiner Teil der vielen Gärten, die sich wie ein Ring um die Stadt legten. Am Ende des 17. Jahrhunderts gab es im geschützten Bereich zwischen Mauerring und Landwehr ca. 380 Anlagen. (1) Hinzu kamen noch die großen, vornehmen Gärten in der Altstadt, z. B. im Osten auf dem Schwabenberg und hinter dem Tucherschloss sowie auf dem Zwinger der Stadtmauer – also insgesamt mehr als 400 Gärten.

Maria Sibylla durfte in etlichen von ihnen Flora und Fauna beobachten. An mehreren Stellen ist in ihren Raupenbüchern und auch in ihrem Studienbuch ist zu lesen, wo sie ihre Fundstücke zusammengetragen hat. Bei ihrer Suche im großen Territorium der Reichsstadt fand sie interessante Raupen im Irrhain, dem kleinen Park des Pegnesischen Blumenordens im Norden beim Dorf Kraftshof, und im Stadtgraben von Altdorf, das eine Tagesreise entfernt im Osten lag. (2) Ihr Interesse sprach sich herum, ihre „Discipelinnen“ (3) halfen ihr beim Sammeln, sogar aus Regensburg wurde ihr eine seltene Raupe geschickt. (4)

In Nürnberg waren nicht nur die vielen Privatgärten eine Besonderheit, sondern es gab sogar schon seit dem Mittelalter einen öffentlichen Park, nachdem der Rat 1432 von einer der ältesten und vornehmsten Nürnberger Familien einen breiten Uferstreifen direkt westlich vor der Stadtmauer erworben hatte. Diese nach den Vorbesitzern benannte Hallerwiese ist auf der obigen Zeichnung von Bien an den regelmäßig gepflanzten Bäumen direkt über dem Fluss leicht zu erkennen. Noch deutlicher werden die Details auf dem Ausschnitt aus einem Rundprospekt um 1580 (5) mit Baumalleen, zwei Springbrunnen und viel Freizeitaktivitäten: ein kleines Boot auf dem Fluss, Spaziergänger mit Hund und eine Sonnenbadende. Seit damals hat sich daran nur wenig geändert. Die Hallerwiese ist auch heute nach fast 600 Jahren ein sehr beliebter, zentrumsnaher, öffentlicher Park.

Blick vom der Stadtmauer nach Westen auf die Hallerwiese bis zu den Weidenmühlen

Der grüne Ring um die historische Stadt wurde im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung und der wachsenden Bevölkerung fast vollständig zerstört. Aber ihr Andenken bleibt gewahrt, denn der Kaufmann Johann Christoph Volkamer (1644-1720) verfasste ein umfangreiches Buch über die Gärten in Nürnberg und deren Kultur, das er 1708 veröffentlichte. Volkamer war der Bruder des langjährigen Briefpartners der Merianin, er war nur drei Jahre älter als sie, und die beiden kannten und schätzen sich.

Volkamers Buch ist eine der wichtigsten und eigenartigsten Publikationen über die Gärten jener Zeit. Dabei wirken die Ansichten von Gärten, Landschaften und anderen Sehenswürdigkeiten (Veduten) auf den Kupferstichen auf den ersten Blick nur zweitrangig. Ihre Bedeutung erschließt sich erst beim genauen Hinsehen. Denn den meisten Platz beanspruchen die vielen in Nürnberg bekannten Zitrusfrüchte in Originalgröße und zwar ohne Blätter, wenn sie von anderen Sammlern zugeschickt wurden, und mit grünem Blattwerk, wenn sie hier wuchsen und geerntet wurden.

Das imposante steinerne Gartenhaus der Imhoffs am Rand der öffentlichen Hallerwiese

Der Volkamer Garten in der Vorstadt Gostenhof mit dem im Sommer offenen Gewächshaus (rechts)

Obere Terrasse des Pellergartens mit Springbunnen und barocker Balustrade zum unteren Garten

Da Nürnberger im Barock gern auch ihr Wissen über die antike Götterwelt zeigten, nannte Johann Christoph Volkamer sein Buch in Anlehnung an eine antike Sage „Nürnberger Hesperides“. Diese Nymphen waren beauftragt, den Baum mit den goldenen Äpfeln (Orangen?) der Göttermutter Hera zu bewachen. Dieses Werk ist ein bleibendes Zeugnis für die Liebe der Nürnberger zur Natur, ihre Neugierde auf Unbekanntes wie exotische Pflanzen, ihre Sammelleidenschaft und Geduld, ihre Bereitschaft, nicht nur Geld, sondern auch viel Zeit in dieses Hobby zu investieren und ihre Erfahrungen untereinander auszutauschen.

Ähnlich wie die Merianin verbindet Volkamer zwei Themen in seinem Werk, eine umfassende botanische Darstellung und Beschreibung der exotischen Zitrusfrüchte mit der baulichen Umsetzung der Rahmenbedingungen für die Kultur dieser Pflanzen = Gärten und Gartenhäuser zur Aufnahme dieser Gäste aus fernen Ländern.

Dieses Buch enthielt so viele Ratschläge zum Anbau und zur Pflege der Pflanzen sowie sogar zur Schädlingsbekämpfung, dass es im 18. Jahrhundert als Standardwerk der Gartenkultur galt. Volkamer schrieb zudem ein eigenes Kapitel über den Stand der Gärtner, der für ihn „vor andern glückseelig“ war. An das Kapitelende setzte er einen Kupferstich mit einem Gärtner und seinem Gehilfen bei der Arbeit. (6)

Auf der soliden, steinernen Balustrade stehen die teuren exotischen Bäumchen, die der Gärtner gerade gießt, während sein Gehilfe ein ornamental gestaltetes Beet bearbeitet. Umrahmt werden beide von einer Vielzahl von Arbeitsgeräten, die alles zu einem lebensnahen kleinen Kunstwerk zusammenfügen.

Volkamers Buch hat sicher auch dazu beigetragen, dass seit den 80er Jahren auf Wunsch von Bürgern drei Hesperidengärten nach alten Plänen im Stadtteil Johannis rekonstruiert wurden. Hierfür wurde die Stadt Nürnberg 1988 mit einer Europa-Nostra-Medaille ausgezeichnet. Das blühende gärtnerische Erbe aus der Zeit, als die Merianin in Nürnberg lebte, kann so lebendig bleiben.

  1. Tschoeke (Lit 2008), darin Aufsatz von Ruth Bach-Damaskinos, S. 21: im Sebalder Landfrieden 160 Gärten und im Lorenzer Landfrieden 220 Gärten
  2. Studienbuch / Beer (Lit 1976) Nr. 132, Blatt 48, Transkription S. 235 (Irrhain); Nr. 119, Blatt 44, S. 227 (Altdorf)
  3. Studienbuch / Beer (Lit 1976) Nr. 110, Blatt 41, Transkription S. 221
  4. Studienbuch / Beer (Lit 1976) Nr. 140, Blatt 51, Transkription S. 241
  5. Stefan Gansöder nach Paulus Reinhart, Holzschnitt, Papier auf Leinwand, StaatsAN, Reichsstadt Nürnberg, Karten und Pläne Nr. 202
  6. Universitätsbibliothek Halle, Historische Sammlungen, RAR C 118
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