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Baustruktur

Der Fachwerkbau vor mehr als 600 Jahren und seine Veränderungen

Beschreibung des Fachmanns Michael Taschner

Bergstraße 10: Stockwerkbau, Fachwerkbild im 15. Jahrhundert, verblattete und verzapfte Holzverbindungen bis 1525

In Nürnberg vollzog sich um 1400 ein Wandel in der Fachwerkbauweise, weg vom Ständergeschossbau hin zum reinen Stockwerkbau. (1) Warum sich die Zimmerleute von nun an für die Stockwerkbauweise entschieden haben oder ob es ihnen angeordnet wurde, bleibt bis heute im Dunkeln. Die Annahme, der stockwerksweise Aufbau würde eine Erleichterung auf der Baustelle darstellen sowie eine Flexibilität bei der Fassaden- und Grundrissgestaltung hervorrufen, bleibt letztendlich nur eine Vermutung. Der deutlichste Unterschied der beiden Bauweisen ist die Höhe der Fachwerkständer, die beim Stockwerkbau nicht höher als ein Stockwerk sind. Der Stockwerkbau war im Grunde nichts Neues, ist er doch schon früher häufig über dem Ständergeschossbau, z. B. im 2. Obergeschoss, zur Anwendung gekommen (siehe Obere Schmiedgasse 54/56).

Das vor allem durch seine Bewohner Maria Sibylla Merian (1647-1717) und Johann Andreas Graff (1636-1701) bekannte Haus Bergstraße 10 wurde 1412 als Fachwerkbau in Stockwerkbauweise errichtet und ist aufgrund seiner frühen Bauzeit ein gutes Beispiel für die Veränderungen im Fachwerkbau um 1400.

Der Austausch des bauzeitlich verblatteten Fachwerks gegen das Riegelfachwerk bzw. Sandsteinmauerwerks erfolgte in der zweiten Hälfte des 17. Jh. (Foto 2017)

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Das Eckhaus mit dem Hausnamen „Zur goldenen Sonne“ erfuhr vermutlich in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts gravierende Veränderungen. Das mittelalterliche Fachwerk im Erdgeschoss wurde dabei durch eine Sandsteinquaderwand und das Fachwerk im 1. Obergeschoss zum Teil durch ein schlichtes Riegelfachwerk ersetzt. Ein vollflächig aufgebrachter Putz hat das nicht mehr homogene Fachwerkbild kaschiert. Die Altstadtfreunde förderten 1974 die Freilegung der Fachwerkfassaden. (2)

Durch die Fachwerkfreilegung trat z. B. im 2. Obergeschoss auf der Giebel- wie auf der Traufseite das mittelalterliche Fachwerkbild wieder ans Tageslicht. Es veranschaulicht die Konstruktion des Stockwerkbaus, der sich aus Schwelle, Ständer, Rähm, Kopf- und Fußstreben sowie aus Brüstungsriegeln zusammensetzt. Wie man aus der Bezeichnung Stockwerkbau schon ableiten kann, beschränkt sich diese Konstruktion auf das jeweilige Stockwerk. Auffallend ist, dass die Blattspitzen der zur Aussteifung des Gebäudes erforderlichen Streben auf den Ständern sehr nahe beieinanderliegen, sich manchmal sogar berühren – ein Fachwerkbild, das über das gesamte 15. Jahrhundert hinweg zu beobachten ist. Darüber hinaus dienen die doppelten kurzen Streben, die auch als Büge bezeichnet werden, nicht der Statik, sondern allein der Zierde.

Das 2. OG, das 1. und 2. DG zeigen noch die bauzeitliche Fachwerkarchitektur von 1412. Anhand der abgeschnittenen Blätter (ehem. Kopfstreben) im Schwellholz des 2. OG kann man das Fachwerk im 1. OG rekonstruieren (Foto 2012)

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Ein wichtiger Bestandteil im Fachwerkbau sind die Holzverbindungen (3), die hier zum besseren Verständnis der einzelnen Stationen kurz erläutert werden. Während man die waagerechten und senkrechten Hölzer mittels Zapfen miteinander verband, wurden die Streben mit den waagrechten und senkrechten Hölzern verblattet. Der Dachraum bildete hier eine Ausnahme. Dort wurden die waagrechten Balken (Kehlbalken) mit den Sparren verblattet. Zur Sicherung und Fixierung der Verbindungen verwendeten die Zimmerleute eichene Holznägel, da diese stabiler gegen Bruchbeanspruchungen und langlebiger waren als Nägel aus Nadelholz. Die verblatteten Holzverbindungen kamen bis um 1525 zur Anwendung. (4)

Auszug aus: Michael Taschner, Das Fachwerk in Nürnberg von 1300 bis 1700, erschienen in den Nürnberger Altstadtberichten der Altstadtfreunde Nürnberg, Nr. 42/2017, ISSN 2566-6630, S. 97-99.

Anschluss der Streben bzw. Büge an waagrechte und senkrechte Fachwerkhölzer innerhalb der Altstadt.
Links: Verblattung bis 1525 – Rechts: Verzapfung ab 1525

  1. Bedal, Konrad: Fachwerk vor 1600 in Franken. Eine Bestandsaufnahme. 2. Auflage, Petersberg 2006, S. 32 f.
  2. Mulzer, Erich, Maria Sibylla Merian und das Haus Bergstraße 10, in: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 24 (1999), S. 27-56; Mulzer, Erich: Tätigkeitsbericht der Vereinigung Altstadtfreunde vom 1. November 1973 bis 31. Dezember 1975. In: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 1 (1976). S. 9, 18; Bedal, Konrad, Fachwerk vor 1600 in Franken. S. 463 f; Holzaltersbestimmung: gebohrt von Michael Taschner, Auswertung: Planungsbüro Tisje, 1992: Ergebnis 1412
  3. Bedal, Konrad (Hrsg.), Unter Dach und Fach, Häuserbauen in Nürnberg vom 14. bis ins 20. Jahrhundert, Bad Windsheim 2002, S. 173 f
  4. Bedal, Konrad, Fachwerk vor 1600 in Franken. S. 44 f; Bedal, Konrad: Fachwerkkunst in Franken 1600-1750. Eine Bestandsaufnahme. Bad Windsheim 2014. S. 62 f; Taschner, Michael: Die Sieben Zeilen in Nürnberg – in vielerlei Hinsicht für die Bauforschung von Bedeutung, in: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 38 (2013). S. 49-62.
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