Malerakademie und Blumenorden
In den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs wurde Nürnberg attraktiv für den Zuzug hochqualifizierter Fachkräfte in künstlerischen und kunsthandwerklichen Berufen, die oft auf Dauer blieben. Sie sorgten auch für eine qualifizierte Ausbildung von Nachwuchs. Jakob von Sandrart gründete 1662 sogar die damals innovative Malerakademie. Sein weltberühmter Onkel Joachim von Sandrart, der während des Friedenskongresses bereits als Maler hier tätig war, ließ sich dauerhaft in Nürnberg nieder. Zu den Leitern der Malerakademie gehörte auch der „Flachmaler“ Johann Paul Auer, bei dem Maria Sibylla Unterricht erhielt und dessen Vater, ein Weinhändler, der Taufpate und Vormund von Johann Andreas gewesen war.
Der Begriff „Kunst“ muss in Nürnberg in einem sehr weiten Sinn verstanden werden. In diesen Bereich gehörte auch die Sprachkunst, wie das Beispiel des Pegnesischen Blumenordens zeigt: Als eine der ältesten Gesellschaften im deutschen Sprachraum zur Pflege der deutschen Sprache wurde sie schon 1644 gegründet und besteht noch heute. (1)
Damals waren nicht nur der Verlust vieler Menschenleben und materieller Güter zu beklagen. Die verrohten Sitten durch Gewalt, Plünderungen und Verbrechen wurden als Bedrohung der Stadtkultur empfunden. Um eine neue Sprachkultur zu fördern, trafen sich gebildete Menschen in einem „Poetenwäldlein“ am Flussufer der Pegnitz westlich von Nürnberg, wo sie ihre gereimten und ungereimten Texte vortrugen und austauschten. Anreden unter Aufzählung langatmiger Titel, die sonst wegen Standesunterschieden erforderlich waren, sollten vermieden werden; deshalb erhielten alle Mitglieder einen fiktiven Ordensnamen, meistens von einer Blume mit einem entsprechend bestickten Blumenband.
Ordensband dieses Gründers (2)
Exlibris des Ordensgründers „Floridan“ mit zwei Ordensdevisen: der „Blumengenossenschaft“: „Alles zur Ehre des Himmels“/„Zu einem Ton einstimmend“
Sogar Frauen wurden – wie selbstverständlich – in diesen Verein aufgenommen (3), und es gab etliche korrespondierende Mitglieder, die oft in anderen, weit entfernten Städten wohnten. Christoph Arnold gehörte als Nummer Fünf zu den ersten Mitgliedern dieser Gesellschaft; er war Lehrer am Egidien-Gymnasium, Hauptprediger an der Frauenkirche und Eigentümer einer großartigen Privatbibliothek. Er war einer der wichtigsten Förderer der Merianin und er unterstützte mit seinen Gedichten in den Raupenbüchern die positive Aufnahme ihrer neuartigen Werke in der Nürnberger Stadtgesellschaft.
In ihren Büchern vereint die Merianin ihre bildlichen Darstellungen mit den Ergebnissen ihrer Forschung zu einem Gesamtkunstwerk. In den Vorworten betont sie mehrmals, dass ihre gesamte Arbeit zur Ehre Gottes geschieht. Diesen zusätzlichen religiösen Aspekt unterstreicht Professor Arnold mit seiner Sprachkunst in seinen Gedichten wie dem „Raupenlied“ im ersten Raupenbuch vor allem in der abschließenden siebten Strophe (4):
Arnold bringt sogar die Musik mit ins Spiel, denn über den Strophen steht: „Im Ton“, also „Nach der Melodie“. Wir sind sicher, dass das Raupen-Lied tatsächlich gesungen werden konnte, weil wir das Kirchenlied „Jesu, der du meine Seele …“ mit Noten als Nr. 718 in einem „Nürnbergischen Gesangbuch“ von 1676 (5), also aus der Zeit, als die Merianin in Nürnberg lebte, gefunden haben. Wir wissen sogar, wie es heute klingt, seitdem ein Chor der Beschäftigten bei der Stadtverwaltung Nürnberg es auf CD aufgenommen hat.
Damals waren Kunst, Forschung, Glauben in der Nürnberger Stadtkultur viel enger miteinander verwoben als heute, und die Bücher der Merianin sind hierfür besonders anschauliche Beispiele.
Notenblatt mit moderner Notenschrift (zum Herunterladen bitte anklicken)
Raupenlied von Christoph Arnold abgedruckt im Ersten Raupenbuch von Maria Sibylla Merian
Titelkupfer mit Stadtpanorama des Nürnbergischen Gesang-Buchs von Johannes Saubert, 1776
Lied-Melodie von „Jesu / der Du meine Seele …“ aus dem Nürnbergischen Gesangbuch