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Merian-Garten

Spuren der Merianin im heutigen Stadtbild

Erinnerungsorte in Nürnberg

In Nürnberg lebte das Ehepaar Graff und Gräffin 14 Jahre und hier wurde 1678 die zweite Tochter geboren. In dieser Zeit entwickelte Maria Sibylla unterstützt von ihrem Mann und der Nürnberger Stadtgesellschaft ihr Lebensthema: die Beobachtung von Insekten und ihrer natürlichen Entwicklung.

An einigen Orten in Nürnberg ist die Erinnerung noch lebendig.

Ein grünes und blühendes Paradies auf der Kaiserburg

Der Garten der Familie Graff-Merianin

Als die Graff-Merianin-Familie nach Nürnberg kam, stand die Gartenkultur in dieser Reichsstadt in voller Blüte: Die Besitzer zeigten stolz ihre grünen Oasen, sie sammelten Blumen-Aquarelle und präparierte Schmetterlinge. Dies alles waren optimale Voraussetzungen für Maria Sibyllas Karriere und obwohl die Graffs nicht zu den alteingesessen Familien gehörten, hatten sie großes Glück: sie besaßen einen eigenen Garten.

In ihrem Text zu Blatt Nr. XXI, dem 21. Kupferstich des zweiten Raupenbuchs teilt uns die Autorin mit:
„Denn als ich im Anfang July meinen Garten besuchte / so wol die Blumen zu besehen / als die Raupen zu suchen / fand ich sehr viel grünen Morast auf den grünen Blättern der obbesagten Lilien …. Da fand ich / in dem Morast / sehr viele kleine rothe Thierlein … Derselben nahme ich dann etliche / samt den Blättern / mit nach Haus / …. da ich aber nach etlichen Tagen sie wieder besahe / fand ich … als von diesem Thierlein eines auch bei einem grünen Blätlein / zu sehen; die alle schön hoch=roth waren.“ (1)

Diesem Eintrag verdanken wir die Information, dass Maria Sibylla in ihrer Nürnberger Zeit einen Garten hatte – sie allein und persönlich als zugezogene Frankfurterin? Wie so oft wählt sie die „Ich-Form“ und blendet ihre Familie aus. (2) In jener Zeit war es jedoch eher ein Garten der Familie Graff und Gräffin.

Leider steht in dem Text nicht, wo sich dieser Garten befand. Aber seit 1976 ist Maria Sibyllas persönliches Musterbuch, das als ‘Studienbuch’ in St. Petersburg verwahrt wird, als Faksimile verfügbar. Dort hat sie bei der Nr. 119 handschriftlich eingetragen:

Lilie aus dem zweiten Raupenbuch (3)

Erwähnung des Gartens im Studienbuch (4)

Die roten Käferlein im Studienbuch

Neben der „Schloß Kirchen“ bedeutet: neben der Kaiserkapelle. „Schloss“ als Bezeichnung für die Kaiserburg ist heute ungewöhnlich, war aber in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts üblich. Auf der Westseite ist der Palas direkt angebaut, auf der Ostseite der Kapelle liegt jedoch neben dem Kapellenturm (sog. „Heidenturm“) ein kleiner Garten hinter einer Mauer mit einer Holztür, der als ehemaliger „Stadtrichtersgarten“ (5) nicht öffentlich zugänglich war und der vom Burgverwalter in den letzten Jahrzehnten privat genutzt werden durfte. (6)

In ihrem Musterbuch hat Maria Sibylla gegenüber der Textseite jeweils auf einem kleinen Pergamentstück die beschriebenen Insekten aquarelliert: Allerdings sind die „hoch=rothen Käferlein“ keine prächtig bunten Schmetterlinge. Das einzig Auffallende an diesen Käfern ist ihre Farbe. Wegen ihres Appetits auf Blätter zählen sie bei Gartenfreunden eher zu den Schädlingen – für Maria Sibylla als Teil von Gottes großartiger Schöpfung sind sie jedoch ebenso wertvoll wie der auffallendste exotische Schmetterling.

Deshalb hat sie auch die Entwicklung der „viel kleine rothe Thierlein“ im „dunklen, unsauberen Morast“ auf den grünen Blättern, die sie mit Teilen der Futterpflanze zur Beobachtung mit nach Hause nahm, sorgfältig beschrieben.

In Maria Sibyllas Nürnberger Zeit war der Großonkel von ihrer Schülerin Clara Regina Imhoff ‘Erster Losunger’ (Chef des Finanzressorts der Reichsstadt), Reichsschultheiß und Pfleger der Veste (Burg). Zu seinem Bereich gehörten auch die Gärten auf den Burgbastionen und der „Weinberg“ im Süden auf der Stadtseite unterhalb von Palas und Kaiserkapelle. (7)

Auf den kleinen, strategisch unwichtigen Garten neben der Kapelle konnte er verzichten, weil er einen weiteren Garten auf dem Zwinger beim Neuen Bau (8) hatte (heute: Kreuzgassenviertel).

Für die junge Familie mit kleinen Töchtern war der Garten in unmittelbarer Nähe ihres Wohnhauses dagegen von großem Vorteil – auch weil das Grundstück der „goldenen Sonne“ zu 100% überbaut war und deshalb kein Platz am Haus für ein „Gräslein“ war.

Der Garten neben der Kapelle ist auf einer kolorierten Federzeichnung von Georg Erasmus (1677) mit einer Ansicht der Burg aus der Vogelperspektive von Süden zu erkennen. Der Ausschnitt aus dieser Zeichnung zeigt im Vordergrund vor dem Kapellenturm deutlich das Gartenhaus, in dem auch die Graff-Merianin-Familie Schutz vor Sommergewittern finden konnte.

Sogar Graff selbst hat eine Ansicht der Burg mit dem Gartenhaus hinterlassen, in dem seine junge Familie oberhalb der im Sommer oft stickigen Altstadt über die Dächer weit ins Land schauen konnte. Als er nach seinem gescheiterten Aufenthalt bei der Labadistengemeinschaft in Friesland ohne Frau und Töchter nach Nürnberg zurückkehrte, hat er eine Serie von Ansichten des Nürnberger Umlands gezeichnet, die von Johann Ulrich Kraus in Radierungen übertragen wurden und lange Zeit sehr beliebt waren.

Ausschnitt aus einer Burgzeichnung 1677 (9)

Blick auf die Burg von Westen (10)

Eine der nur 12 x 17 cm kleinen Abbildungen, das „Poetenwäldlein gegen Nürnberg“, zeigt im Hintergrund in Briefmarkengröße die Kaiserburg von Südwesten, und darin – ganz winzig und noch einmal vergrößert das Gartenhaus, angelehnt an den Kapellenturm mit einem Baum dahinter – welch eindeutiger Beweis für die Qualität der zeichnerischen Vorlage von Graff und für die präzise Umsetzung als Druckvorlage durch den Stecher Kraus.

Das leicht beschädigte Gartenhaus um 1942 (11)

Obwohl im Zweiten Weltkrieg die Altstadt von Nürnberg stark zerstört wurde und auch Palas sowie Kaiserstallung schwere Schäden erlitten, hat das kleine Gartenhaus die verheerenden Luftangriffe mit nur leichten Schäden überstanden.

Das Foto zeigt zerborstene Scheiben und beschädigte Dachziegel. Unbeschädigt ist die Balustrade des offenen Erdgeschosses links unten, die in Nürnberg „Dockenbrüstung“ genannt wird, weil die gedrechselten Stäbe den einfachen Holzpuppen (= Docken) aus früherer Zeit ähneln. Das Wissen über die historischen Gartenbesitzer war über die Jahrhunderte verloren gegangen. Erst durch mehrere glückliche Umstände konnte die Spur zum Familiengarten des Ehepaars Graff-Merianin im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts wiedergefunden werden.

Als Teil eines großen Investitionsprogramms der Bayerischen Staatsregierung für die Kaiserburg wurde der kleine Garten 2013 saniert, nach Maria Sibylla Merian benannt, mit von ihr gemalten und beschriebenen Pflanzen gestaltet. (12)

Blumen der MerIanIn

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Lilie im neuen Garten
Foto: Dieter Lölhöffel

Der Garten mit dem Blick über Nürnberg ist wie damals nur 170 qm groß, aber er ist eine kleine Welt für sich. Bei der Auswahl der Pflanzen wurde großer Wert darauf gelegt, dass sie alle schon in den Werken der Merianin zu finden sind. Die goldgelbe Lilie, deren Beschreibung mit den hochroten Käferlein wir die Verortung des Gartens verdanken, wird hoffentlich in jedem Sommer zum bunten Blumenflor gehören.

Sogar ein Bassin als Vogeltränke und ein Beet mit tropischen Pflanzen als Erinnerung an die Expedition der Merianin nach Surinam haben dort ihren Platz gefunden.

Wasserbecken und tropische Pflanzen
Foto: Dieter Lölhöffel

Bei der Neugestaltung als „Maria-Sibylla-Merian-Garten“ wurde die Bausubstanz des Gartenhauses gesichert. Die baulichen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Erdgeschoss geschlossen wurde, sind (noch) nicht zurückgebaut.

Die Wiederherstellung der zum Garten hin offenen Loggia mit der typischen Balustrade wäre ein schönes Geschenk zu Ehren der ehemaligen Gärtnerin Maria Sibylla und zur Freude für alle Freunde historischer Gartenkultur.

Denn dieses kleine Haus gehört zu den ältesten Bauten dieser Art in den grünen Oasen Nürnbergs. Vielleicht ist es sogar das älteste erhaltene doppelstöckige Gartenhaus, wie es in den historischen Nürnberger Gärten üblich war.

Dieser Garten ist also ein wunderbares, lebendiges, grünes und blühendes Paradies, in dem wir ihr Andenken in Ehren halten können.

Er ist ein Denkmal in Form von Landschaftskunst, ein Land Art Monument, das in seiner diagonalen Ausrichtung jenseits der Gartenmauer über das Panorama der Stadt weit hinaus in die Ferne weist: Von Nürnberg aus ging die Merianin nach Holland und unternahm eine gefährliche Expedition nach Surinam. Ihre Töchter fanden sogar in Paramaribo (Hauptstadt von Surinam in Südamerika) und in St. Petersburg in Russland eine neue Heimat. Diese moderne Gestaltung ist vielleicht sogar besser geeignet als eine Merianin-Statue. Aber der Garten braucht viel Pflege. Deshalb ist er nur an Sonntag- und Montagnachmittagen von April bis Oktober – allerdings kostenlos – zu besichtigen.

Besichtigungszeiten des Gartens bei freiem Eintritt

sonntags und montags

April bis September: 14-18 Uhr

Oktober: 14-16 Uhr

Das renovierte Gartenhaus
Foto: Dieter Lölhöffel

„Die Gärten auf den Burgen – Wer macht sie so schön?“

Der Landschaftsarchitekt gibt Auskunft

Ausschnitt aus einem Zeitungsinterview mit Sven-Patric Klameth, Gartenreferent mit Schwerpunkt Gartendenkmalpflege der Bayerischen Schlösserverwaltung, im Sommer 2020

Wie gelingt der Spagat zwischen historischem Bestand und neuen Anforderungen?

… Auch historische Gärten unterliegen zeitlichen Veränderungen. Wenn sich in der Gesamtanlage strukturelle Veränderungen ergeben, muss auch meist der Garten angepasst werden. … Manchmal kommt es auch zu Projekten wie im Maria-Sibylla-Merian-Garten, den wir 2013 auf der Kaiserburg Nürnberg errichtet haben. Wir wussten, dass es an dieser Stelle immer einen Garten gegeben hatte, uns lagen allerdings keinerlei aussagekräftigen Unterlagen zur Gestaltung und Bepflanzung vor. Hier haben wir uns bewusst für eine Neuschöpfung entschieden, bei der wir neue Materialien und Formen aufgegriffen haben, die in Kontrast zur umliegenden Architektur stehen.

Was ist Ihr eigenes, bedeutendstes Werk?

Meine Aufgabe als Gartendenkmalpfleger ist in erster Linie die historischen Parkanlagen zu erhalten und weniger sie neu zu gestalten. Daher war für mich die Mitwirkung am Maria-Sibylla-Merian-Garten eine besondere Zeit, auf die ich gerne zurückblicke. Es erfüllt mich immer noch mit Stolz, dass wir den Garten Maria Sibylla Merian widmen und gleichzeitig im Sinne des Artenschutzes einen zusätzlichen Lebensraum für Insekten schaffen konnten. … Alle Pflanzen, die wir in den Garten eingebracht haben, finden sich in Merians Büchern und kommen überwiegend auch in der heimischen Natur vor. Ein Bonus ist, dass der Schaugarten etwa bei Hochzeiten ein besonderes Ambiente bietet.

  1. Gräffin, Maria Sibylla (MSM 1683) Text zu “Goldge[l]be Lilien”, S. 41f
  2. vgl. Vermutungen von Davis, weshalb die Merianin ihre Töchter nicht erwähnte (Lit Davis 1995), S. 200
  3. dies. (MSM 1683), Blatt XXIr „Goldge[l]be Lilien“; Kupferstich mit freundlicher Genehmigung der UBErl Handschriftenabteilung, Sign. H62 / CIM.P 39
  4. Studienbuch / Beer (Lit 1976) Nr. 119, Blatt 44, S. 227
  5. Klameth (Nat 2014) S. 30
  6. Nürnberger Nachrichten, Zeitungsartikel „Das grüne Burgparadies ist nun für jeden zugänglich“, 20.08.2013, S. 11
  7. Dank an Helge Weingärtner für seinen freundlichen Hinweis
  8. wie vor
  9. Erasmus, Johann Georg, Ausschnitt aus der Ansicht der Kaiserburg von Süden aus der Vogelperspektive, Zeichnung, 48 x 61 cm, mit freundlicher Genehmigung © GNM, Inv. Nr. Nr. HB 1472 Kaps 1086 [Gm 1084] StN 16956, Foto: Georg Janßen; siehe auch Abbildung z. B. Friedel (Soz 1999) S. 16
  10. Graff, Johann Andreas (Entwerfer) und Johann Ulrich Kraus (Stecher) Poetenwäldlein gegen Nürnberg, Platte: 12,3 x 17,5 cm; mit freundlicher Genehmigung der StadtBN, Sign. Nor. K 6 (Nr. 6)
  11. Foto: Gartenhaus neben dem Heidentum um 1942; mit freundlicher Genehmigung des StadtAN A41-II-LR-313-21 sowie der Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (Aufnahme der Burgverwaltung)
  12. Die Wiederbelebung und das Konzept für die moderne Gestaltung des Gartens durch die Bayerische Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen hat Sven-Patric Klameth, einer der Hauptbeteiligten, in einem sechsseitigen Aufsatz anschaulich beschrieben; Klameth (Nat 2014) S. 30-35
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