Gemeinsames und Trennendes
Übersicht – Dritter Teil
3 Graffs Rückkehr und Bedeutung als „Mahler und Burger in Nürnberg“
3.1 Architektur im Stadtbild und im Unterricht
3.2 Kleine „Landtschäfftlein“ als Impressionen des Umlands
3.3 Graffs langwierige Scheidung
3.4 Die Serie der „Großen Stadt-Prospecte“
3.5 Auftragsarbeiten und überraschende Entdeckungen
3.6 Meisterwerke aus dem Fundus der italienischen Jahre
3.7 Späte künstlerische Anerkennung
3.8 Graffs Werk als Dokumentation der Stadtkultur seiner Zeit
Abkürzungen für Archive u. ä.
Abkürzungen für die verschiedenen Sparten im Literaturverzeichnis
Endnoten
Ergänzende Literaturangaben
Ausschnitt aus einer perspektivischen Lehrzeichnung von Graff (1689) mit Einzeichnung von konstruktiven Linien, Punkten, Kreisen und Kreissegmenten (1)
3. Graffs Rückkehr und Bedeutung als „Mahler und Burger in Nürnberg“
Die letzte Begegnung auf dem Landgut Waltha in den Niederlanden war ein Wendepunkt im Leben von Maria Sibylla und Johann Andreas Graff. Für sie war die Ehe nach 20 Jahren beendet, weil er nicht in die Labadistengemeinde aufgenommen wurde. Sie nannte sich wieder „Merianin“, (2) blieb ungefähr fünf Jahre in dieser religiösen Gemeinschaft und begann nach dem Tod ihrer Mutter einen neuen Lebensabschnitt in Amsterdam als unabhängige Geschäftsfrau zusammen mit ihren Töchtern.
Berühmt wurde sie vor allem wegen ihrer außergewöhnlichen, mutigen Expedition in die südamerikanischen Tropen und die Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse in ihrem prachtvollen, großformatigen Werk über die Metamorphose der surinamesischen Insekten.
Graff dagegen kehrte 1686 allein nach Nürnberg zurück. Er arbeitete in den letzten 15 Jahren seines Lebens unermüdlich weiter und setzte seine bewährte Zusammenarbeit mit der Kraus-Werkstatt bis an sein Lebensende fort. Wie schon bei der Lorenzkirche vertraute er seine Vorlagen für großformatige „Stadt-Prospecte“ und kleinformatige „Landtschäfftlein“ diesem Spezialisten in Augsburg an. Die Stiche fasste Graff zu Serien zusammen und bot sie als Verleger sowohl als einfarbige Drucke als auch handkoloriert (= illuminiert) zum Verkauf an. (3)
3.1 Architektur im Stadtbild und im Unterricht
Legende des Stichs (= Prospects)
Für die großformatigen „Stadt-Prospecte“ hatte Graff schon geeignete Vorlagen für Stiche vorbereitet, bevor er mit seiner Familie 1682 nach Frankfurt zog. Eine Zeichnung von 1680 bildet das Gegenstück zur Ansicht von Westen, bei der 1681 die Deutschordenskommende, der Weiße Turm und die Jakobskirche im Zentrum standen und die Graff noch selbst um 1680 gestochen hatte. Während die Reisenden von Westen (Ulm, Frankreich) auf jenem Platz einen ersten Eindruck von der Reichsstadt Nürnberg bekamen, waren es hier von Süden (Regensburg, Wien) nach dem Frauentor die Klarakirche und die Lorenzkirche sowie die Mauthalle, damals „Obere Große Waag oder Zollhaus“ genannt. Dieses massive Steingebäude mit seinen sechs Dachböden im Zentrum der Ansicht auf der linken Straßenseite war wegen der Zoll- und Stapelverpflichtungen ein besonders wichtiges Gebäude der Stadt für ankommende Kaufleute aus nah und fern.
Die Sehenswürdigkeiten sind ähnlich der Ansicht von Westen auf einer Legende benannt, die wie ein Banner am Himmel segelt. Ein Storch als Stadtbilderklärer fliegt dem Betrachter mit diesen wichtigen Informationen entgegen. Auf späteren Kupferstichen gibt es dieses spielerische Motiv nicht mehr. Es stammt aus einer Zeit, in der Graff seine Familie um sich hatte und seine ältere Tochter ihm über die Schulter schauen konnte.
Prospect von St. Clara gegen St. Lorenz (4)
Ausschnitt Lorenzer Türme
Ausschnitt unten Mitte
Die Straße ist belebt, Menschen erledigen Aufgaben ihres Alltags, aber es ist nicht – wie oft im Barock – ein „Wimmelbild“ mit einer übermäßigen Anhäufung von Aktivitäten. Die Klarakirche ist noch von der alten Friedhofsmauer umgeben und das „B“ neben der Tür links unten für den „Eingang zum Leih- oder „Pfandhaus“ lässt ahnen, dass das Geld auch bei Nürnberger Familien knapp werden konnte. Unter dem Schriftband mit der Legende ragen die Türme der Lorenzkirche in den Himmel. Ein Detail ist besonders interessant: Die Spitze des Südturms war 1680 eingerüstet. (5) Graff zeigt dieses Gerüst so genau, dass wir uns vorstellen können, wie gefährlich damals die Reparaturarbeiten in einer solchen Höhe waren.
Aus der Signatur geht hervor, dass diese Vorlage von Graff tatsächlich aus dem Jahr 1680 stammt, aber erst acht Jahre später in der Krauswerkstatt (6) gestochen wurde.
Eine zweite Zeichnung von 1682, die 1685 oder später gestochen wurde, strahlt die gleiche alltägliche Gelassenheit aus. Auf der rechten Seite des Dillinghofs (heute Egidienplatz) zwischen der romanischen Kirche und dem Turmhaus liegt die Wirkungsstätte des Vaters von Johann Andreas: das Egidiengymnasium des Schulrektors Johann Gravius. In diesem Gebäudekomplex hatte er mit seiner Familie gewohnt und deshalb kann als sicher gelten, dass Johann Andreas dort geboren wurde.
Diese Ansicht des Dillinghofs, von Graff nach der Wirklichkeit gezeichnet („del. ad Vivum“), ist deshalb für die Stadtgeschichte besonders wertvoll, weil sich dieser Platz im Laufe der nächsten Jahrzehnte grundlegend veränderte. Der Besitz von jeweils mehreren Häusern sowohl der vornehmen Ratsfamilie Imhoff (damals „Im Hoff“) als auch der steinreichen Kaufmannsfamilie Peller und der alte Tetzelhof, der bald einem Neubau weichen musste, sind in der Legende über der Ansicht benannt und auf dem Bild selbst mit Buchstaben gekennzeichnet. Das vornehme Pellerhaus im neuen manieristischen Stil, das 20 Jahre vor Graffs Geburt fertiggestellt wurde, beherrscht den Platz und die alte, ehrwürdige Egidienkirche, die noch vor der Wende zum nächsten Jahrhundert abbrannte (1696), ist unversehrt.
Egidienplatz, damals Dillinghof genannt (7)
Wiederaufbau der Kirche 1711-18 (8)
Neues Stadthaus der Tetzel und neue Barockkirche (9)
Graffs Ansicht mit der perfekten Tiefenwirkung seiner perspektivischen Konstruktion ist in späterer Zeit mehrmals als Vorlage für weitere Kupferstiche genommen worden. Zwei Kupferstiche seines berühmten Nachfolgers, Johann Adam Delsenbach (1687–1765), geben uns die seltene Möglichkeit, die baulichen Veränderungen beim Wiederaufbau der Kirche zu verfolgen.