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Gratulationen von Gönnern und Freunden

Gedrucktes Hochzeitsheftchen

Gedichte von verschiedenen Autoren

Titelblatt und 9 gedruckte Seiten

Meyen=Kurtzweil:
an stat *)
Wolgemeynter Glückwünsche / zu den Hoch-
zeitlichen Ehren-Freuden
Deß Wolbescheidenen / Vielerfahrnen
und Kunstbegabten  /
Herrn Johann Andreae
Graffen/
Kunst-Mahlers von Nürnberg /
als Herrn Hochzeiters:
So dann auch
Der vielEhrn- und Tugendreichen
Jungf. Marien Sibyllen
Merianin / **)
als Jungfr. Hochzeiterin.

Bey ansehnlich volckreicher und Christlicher Versamb-
lung solennisirt und feyerlich begangen / in deß H. Reichs
freyen Wahl- und Handel-Statt Franckfurt am Mäyn /
Dienstag den 16. May / nach der Gnadenreichen Geburt C[hristi]. unsers Heylandes /
im sechzehenhundert fünff und sechzigsten Jahr.
Auffgesetzt
Von guten Gönnern / und ungefärbten ***)
Freunden.
Druckts daselbst Hieronymus Polich. ****)

Erläuterungen zum Titelblatt

*) „Meyen-Kurtzweil“ bedeutet „Mai-Unterhaltung“ oder „Zeitvertreib“ und „an stat“, also „anstatt“, weist darauf hin, dass wahrscheinlich nicht alle Verfasser persönlich an der Hochzeit teilnehmen konnten. Für Gratulanten aus der Ferne waren solche schriftlichen Glückwünsche in Versform ein Zeichen der Verbundenheit. Dieser Eindruck gilt insbesondere für die beiden Gedichte des Vetters und Studenten in Heidelberg.

**)  Die Bezeichnung „Merianin“ zeigt, dass weibliche Endungen am Familiennamen für Mädchen und Frauen damals nicht nur in Nürnberg, sondern auch in Frankfurt üblich waren. Deshalb ist die Benennung dieser umfangreichen Webseite als www.merianin.de korrekt.

***) Im Deutschen wird heutzutage der Ausdruck „ungefärbt“ zur Charakterisierung von Menschen nicht mehr verwendet. Gemeint waren damals echte, aufrechte Freunde, die ihr wahres Gesicht zeigen.

****) Fundstelle: Ratsschulbibliothek Zwickau,
Sign. 48.8.7.(4); MF 5628
Digitalisiert ist bisher (2023) nur das Titelblatt

Erläuterungen zu den Gedichten

Wahrscheinlich sind die fünf Gedichte in diesem gedruckten Heft als besonderer Höhepunkt bei der Traufeier in der Wohnung  von Jacob Marrell  verlesen worden. Er war nicht nur der Ziehvater von Maria Sibylla und zweiter Ehemann ihrer Mutter Johanna Sibylla, verwitwete Merianin, sondern auch der Lehrmeister seines früheren Lehrlings Johann Andreas Graff. 

Die Verfasser und ihre Gedichte

Ein „guter Gönner“ der nur seine Initialen „ J. G. S.“ preisgibt, ist der Verfasser der beiden ersten Gedichte. Er würdigt den Frühling und insbesondere den Mai als die schönste Zeit für Hochzeiten und er preist die Liebe.

In seinem zweiten Gedicht, einem „zweifachen Sonett“ heißt es am Schluss:

Damals bekannte Gottheiten der Antike:
Parzen 
=  Schicksalsgöttinnen
Hymen  =  Gott der Hochzeit
Jupiters Gemahlin  =  Göttin Juno
Apollo  =  Gott des Frühlings, des Lichts, der Weissagung und der Künste …

Der nächste Autor, Joh. David Heim(ius), wurde im selben Jahr 1647 wie Maria Sibylla geboren. Er war nicht nur ein Freund, sondern auch ein Cousin, ein Sohn des Bruders der Merianin-Mutter. 1665 lebte er als „Phil. Stud.“ (Student der Philosophie) in Heidelberg und der Weg zur Hochzeitsfeier in Frankfurt war zu weit.

Stattdessen sandte er zwei Gedichte und grüßte mit

Sein erstes Gedicht ist formal und auch inhaltlich bemerkenswert. Denn es ist vollständig in Latein verfasst und schildert im ersten Teil humorvoll eine fiktive Szene, in der Apollo beim Zählen eine seiner neun Musen vermisst. Er schickt Mercurius auf die Suche. Dieser durchstreift die ganze Welt und die Lüfte, sogar die Unterweltseen, und kommt völlig erschöpft zur Hochzeitsfeier. Erleichtert erblickt er in der Braut die neunte Muse und überbringt Glückwünsche:

Hier wird – nach der bisher vorläufigen Text-Auswertung – Christus zum einzigen Mal angerufen.

= Christus möge das gut Begonnene begünstigen! Im zweiten Teil des Gedichts malt Mercurius seine Glückwünsche mit vielen Vergleichen als fast endlos dauerndes Glück aus, das am Ende direkt in den Himmel führen soll.

Der Autor ist sich bewusst, dass sein Gedicht nicht einfach zu verstehen ist und fordert die Lesenden deshalb auf, es drei- oder viermal zu lesen:

Mit 14 (!) absurden Bildern unmöglicher Ereignisse beschwört er – hier nach 350 Jahren übersetzt – die Dauer des Glücks, insbesondere für die Braut, das beispielsweise erst dann enden soll:

Als letzten Vers dehnt er den zeitlichen Horizont bis zu einer Grotte am unheimlichen Grenzfluss Styx zwischen Diesseits und Jenseits aus.

Erst wenn sich der rötlich glänzende Himmel mit der stygischen Grotte vereint und Erde, Meer und Unterwelt durcheinander gebracht sind, sollen auch die irdischen Freuden der Braut, die Gott unermesslich vom Himmel sendet, ein Ende nehmen:

In einem weiteren Gedicht (auf Deutsch) vergleicht der Autor dem naturnahen Zeitgeist entsprechend den Frühling mit der Liebe und wünscht der Braut:

Diese Gedichte von  „J. G. S.“ und „J. D. Heim“ enthalten also Wünsche, die auf viele Brautpaare passen können und vielleicht auch bei anderen Hochzeiten vorgetragen wurden. Dagegen spricht der letzte „ungefärbte“ Freund in diesem Bändchen, Clos Achtzenheller, die Brautleute direkt an:

Seine Ratschläge für das künstliche (= kunstvolle) contrefait (= Werk) sind für beide, also auch für die Frau als Malerin im 17. Jahrhundert (!), eindeutig:

Alle fünf Gedichte in diesem Heftchen lassen uns die zeittypische Grundstimmung mit anspruchsvoller, heiterer Unterhaltung ahnen, die wir uns dadurch bei der Traufeier von Graff und Merianin mit der Brautmutter, dem Ziehvater Marrell und ihren Gästen gut vorstellen können.

Interpretation: Margot Lölhöffel

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