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Fiktive Portraits

Identität vertauscht

Fremde Gesichter als Vorlagen für Merianin-Portraits

Bis vor wenigen Jahren, also sogar nach 2010, wurden die meisten Artikel im Internet über die Merianin mit einem farbenfrohen Bild von „de Bâle“ illustriert. (1)

Dieser Maler konnte bisher nicht identifiziert werden. Sein Gemälde wird zwar auch bei Wikisource gelistet, aber mit dem Zusatz, dass eine andere Frau abgebildet und die „Sammlung unbekannt“ sei. Im Zusammenhang mit der Merianin wird dieses Bild inzwischen kaum noch gezeigt.

Phantom eines Gemäldes im Internet

Leichter zu finden ist der Kupferstich (2), der dem unauffindbaren Maler „de Bâle“ wahrscheinlich als Vorlage diente. Es handelt sich um Esther Barbara Sandrartin, geb. Bloemartin (1651-1733), Ehefrau von Joachim von Sandrart, dem berühmten „Malerfürsten“ und ersten Verfasser eines Künstlerlexikons für den deutschen Sprachraum.

Auf dem unteren radierten Rahmen finden wir Angaben sowohl zum Zeichner und Maler der Vorlage: „Georg de Marees 1725“ (links), als auch die Signatur des Radierers „G. D. Heumann 1727“ (rechts).

In der lateinischen Inschrift ist unter dem Portrait deutlich zu lesen, dass der Ehemann der dargestellten Dame der berühmte (Joachim von) Sandrart (1606-1688) war:

Sogar ihr Geburtsdatum wurde in die Kupferplatte gestochen: „Nata. d. 7. Jun. 1653“. Eine Verwechslung mit der Merianin war also eigentlich nicht möglich, aber das Blatt ließ sich noch häufiger und teurer verkaufen, wenn es als Darstellung der Merianin angeboten wurde, nachdem der untere Teil mit der Inschrift abgeschnitten worden war.

Für Forschungen zum Nürnberger Umfeld der Merianin bleibt die Radierung auch mit der korrekten Identität wertvoll: Zu jener Zeit wurden zwar Königinnen und Prinzessinnen portraitiert, aber ein solch qualitätsvoller Stich für eine Frau wie die Sandrartin war damals eine ungewöhnliche Ehrung und zeigt, dass auch andere Frauen in Nürnberg um 1700 anerkannte Persönlichkeiten waren.

Die Sandrartin war eine sehr gebildete Frau mit einer großen Naturaliensammlung, einer richtigen „Wunderkammer“. Ihr noch berühmterer Ehemann hatte sie sogar zur Universalerbin eingesetzt. Auf der Radierung wird sie als kundige Schmetterlingssammlerin dargestellt. Sie war nur vier Jahre jünger als die Merianin und wahrscheinlich eine ihrer guten Kunden.

Eine französische Malerin als Alter Ego der Merianin

Eine andere, sehr erstaunliche „Identitäts-Übertragung“ geschah mit einem Gemälde von Jean Baptiste Santerre, das noch zu Lebzeiten der Merianin entstand. Die junge, attraktive Frau sitzt dem Maler Modell in einer Art, die überhaupt nicht zur Merianin passt. Sogar die Malerpalette wäre bei der Merianin deplatziert, denn sie malte nicht in Öl sondern in Aquarellfarben.

Künstler: Jean Baptiste Santerre (1651-1717) Porträt seiner „Muse“, Schülerin und Generalerbin, Geneviève Blanchot, genannt Godon

Weit verbreitete Radierung von Johannes Caspar Eissenhardt (1824-1896) nach dem Gemälde von Santerre, ausdrücklich bezeichnet als MARIA SIBYLLA MERIAN

Merian-Biographie erschienen 1999

ISBN 3492225810

Merian-Biographie, erschienen 2002

ISBN: 9783100415073

Verwechslung mit ihrem älteren Halbbruder Joachim

Matthäus Merian der Ältere im Kreis seiner Familie, rechts unten: jüngster Sohn Joachim (3)

Maler: Matthäus Merian, der Jüngere, der junge Mann am linken Rand des Bildes

Der Wunsch vieler Bewunderer und Bewunderin­nen, sich diese außergewöhnliche Künstlerin und Naturforscherin auch bildlich möglichst genau vorstellen zu können, wurde mit einem fiktiven Kinderbildnis von Maria Sibylla „erfüllt“: Auf dem Gemälde mit Matthäus Merian, dem Älteren (1583-1659), zusammen mit seiner ersten Ehefrau Maria Magdalena (1598-1645) im Kreis ihrer Kinder (1), wurde der jüngste Sohn Joachim (1635-1701) als Maria Sibylla ausgegeben.

Aber als das Bild entstand, war sie noch nicht geboren. Rechts unten schleppt nicht sie, sondern ihr zwölf Jahre älterer Halbbruder Joachim das sehr große, imposante Antikenhaupt aus Gips (?) ins Bild. Als er zehn Jahre alt war, starb seine Mutter und sein verwitweter Vater heiratete seine zweite Frau Johanna Sibylla (≈1620-1690). Ein Jahr später wurde Maria Sibylla geboren.

  1. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Esther_Barbara_von_Sandrart.jpg
  2. Radierung, Platte 35,7 x 25,2 cm, mit freundlicher Genehmigung: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv. Nr. 15244
  3. Vgl. Informationen im Online-Katalog des Kunstmuseums Basel, Matthäus Merian der Jüngere, Bildnis der Familie Merian, Öl auf Leinwand 118.7 x 140 cm; © Kunstmuseum Basel, Inv. Nr. 2318, Foto Martin P. Bühler, Geschenk von Prof. Dr. Ernst Stähelin-Kutter (1953)
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