Erinnerungskultur und Heimat für ein Bienenvolk
Zusätzlich zu den drei bisherigen Erinnerungsorten an Maria Sibylla Merian in der Nürnberger Altstadt, und zwar dem Garten auf der Kaiserburg, dem ehemaligen Familienhaus Bergstraße 10 und dem Merianin-Uferweg, hat die Nürnberger Holzbildhauerin Birgit Maria Jönsson eine Skulptur geschaffen, die nicht nur die Merianin nach dem Portrait von 1679 zeigt, sondern auch ihr Schaffen in Nürnberg würdigt.
Als die Merianin vor 350 Jahren in Nürnberg lebte, veröffentlichte sie mit ihrem Nürnberger Ehemann Johann Andreas Graff als Verleger ihre ersten Bücher: In drei „Blumenbüchern“ zeigte sie naturgetreue Kupferstiche mit blühenden Pflanzen, die sie auf Wunsch von Kunden eigenhändig kolorierte.
In ihren beiden „Raupenbüchern“ ging sie noch einen Schritt weiter und verband die Darstellung vieler Insektenarten mit deren natürlichem Lebensraum. Sie stellte ihre Entwicklung mit den Vorstufen wie Eiern, Raupen und Puppen zusammen mit ihren „Wirtspflanzen“ dar. Diese werden auch „Futterpflanzen“ genannt, weil die kleinen, hungrigen Gäste nur mit den jeweils spezifischen Pflanzenarten lebensfähig sind.
Erste Kupfertafel im ersten Raupenbuch; Titel der Beschreibung: „Maulbeer-Baum samt der Frucht“
Sie begann den Reigen ihrer Kupferstiche im ersten Raupenbuch mit der Seidenraupe auf einem Zweig des Maulbeerbaums, weil der lange Faden bei der Verpuppung (siehe links die Hülle mit dem gelben Kern) als Rohstoff für die Seidenherstellung genutzt wird. Im zweiten Raupenbuch zeigte sie die Entwicklung der Biene und ein Märzenveilchen, weil dies eine der ersten blühenden Pflanzen im Frühling ist, wo Bienen den Honig ernten können, den der Imker später aus den Waben schleudern kann.
Die Beschreibung in ihrem Buch, die immer genau so wichtig ist wie das Bild, ist ein besonders gutes Beispiel dafür, dass die Merianin die Insekten nicht in Nützlinge und Schädlinge unterscheidet. Sie vertraute darauf, dass Gott eine vollkommene Welt geschaffen hat, und beobachtete alle diese kleinen „Thierlein“ mit der gleichen Aufmerksamkeit. Unter der Pflanze hat sie die Entwicklungsstufen und rechts oben die Biene im Flug in die Kupferplatte gestochen. Aber auf der linken Hälfte des „Blauen Mertzenveils“ zeigt sie die Entwicklung der „Zeitelmade“, die ein ganzes Bienenvolk vernichten kann, wenn mehrere von ihnen in einen Bienenstock eindringen. In einem langen Absatz beschreibt sie diesen Prozess ausführlich und sachlich, aber ohne negative Bewertung oder Ratschläge zur Bekämpfung.
Erste Kupfertafel im zweiten Raupenbuch; Titel der Beschreibung:„Blauer Mertzenveil“
Titel-Kupferstich des ersten Raupenbuchs, mit dem Kranz aus Maulbeerzweigen
An diese besondere Würdigung durch die Merianin knüpfte die Holzbildhauerin Birgit Maria Jönsson an, indem sie eine Merianin-Skulptur als „Figurenbeute“ aus dem Stamm einer ungefähr 85 Jahre alten Eiche schnitzte, die einem Bauprojekt weichen musste. Gleichzeitig erinnert sie an eine frühere Nürnberger Tradition, als die Zeidler (= Imker) im Reichswald (tote) Bäume aushöhlen durften, damit sich Bienenvölker darin ansiedelten.
Diese Imker waren wegen ihrer Ortskenntnisse im Dickicht des Waldes für den Geleitschutz wichtiger Persönlichkeiten nach und von Nürnberg verantwortlich und durften deshalb zum Ausgleich mit einem besonderen Privileg den Honig ernten = wieder eine neue Brücke für uns sowohl zur Nürnberger Vergangenheit, als die Merianin in Nürnberg lebte, als auch zu ihrem eigenen Forschungsfeld!
Auf dem Foto rechts sind auf die noch unfertige Skulptur kopierte Blätter aus ihren Raupenbüchern geheftet. Inzwischen hat Birgit Maria Jönsson elf Motive aus den Kupferstichen der Merianin in das Holz geschnitzt und bemalt. Auf der Vorderseite zeigt die Bildhauerin den Maulbeerkranz des Titelkupfers vom ersten Raupenbuch. Zu erkennen ist im unteren Teil des Kranzes das kleine, aber wichtige Einflugloch für die Bienen. Diese zwölf bildlichen Zitate gefallen uns sehr.
Auf dem Sockel kommt die Merianin selbst mit ihrem Albumblatt von 1675 zu Wort:
„Deß Menschen leben ist gleich Einer Blum“.
Die Merianin während der Bearbeitung durch die Bildhauerin in ihrem Freiluft-Atelier
Die Bildhauerin mit ihrer Merianin-Skulptur im Himmelsgarten von Burg Grünsberg
Ende April ist die Figur in dem „Himmelsgarten“ genannten Naturgarten der Burg Grünsberg bei Altdorf, also auf ehemaligem Territorium der Reichsstadt Nürnberg, aufgestellt worden. Das in den ausgehöhlten Eichenstamm eingesetzte Bienenvolk hat sich anscheinend trotz der letzten kühlen Apriltage gut eingelebt. Bisher haben wir noch keine Finanzierung für diese Skulptur gefunden, d. h. Birgit Maria Jönsson hat ohne Honorar gearbeitet. Wir wissen auch noch nicht, ob dieses besondere „Merianin Denkmal“ in Nürnberg, z. B. im zukünftigen vierten Hesperiden-Garten im historischen Stadtteil St. Johannis, endgültig aufgestellt werden darf.
Ein späterer Standort in Nürnberg ist noch Zukunftsmusik. Dazu passt wieder ein Zitat der Merianin aus ihrem Brief im Jahr 1704 von Amsterdam nach Nürenberg (!) an ihren Kunden, den Arzt und Büchersammler J. G. Volkamer: „… aber patiencya ist ein gut kreutlein“.
Einstweilen ist es für uns symbolisch ein gutes Zeichen, dass die Nachkommen der Nürnberger Patrizierfamilie Stromer von Reichenbach der Merianin-Figurenbeute so ein wunderbar geeignetes „Asyl“ gewähren = Als die Merianin in Nürnberg lebte, durfte sie sogar in den Barockgärten von breiten Schichten der Nürnberger Bürgergesellschaft (nicht nur bei der Oberschicht) nach ihren Raupen und Insekten forschen.
Das zukünftige Zuhause für die Wildbienen im ausgehöhlten Baumstamm
Die Holzbildhauerin mit dem Imker beim Einsetzen des Bienenvolks
Der „Himmelsgarten“ ist auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Burg Grünsberg leicht zu finden. Der Heilige Sebald, ebenfalls eine „Figurenbeute“ von Birgit Maria Jönsson, steht links hinter der Hecke am Gartenzaun und wartet anscheinend darauf, nach der Neugestaltung des Kirchhofs um die Sebalduskirche in Nürnberg dort seinen endgültigen Standort zu finden. In der Mitte der Wiese steht eine Maria-Montessori-Skulptur mit ihrem Bienenvolk. Der damaligen Mode entsprechend trägt sie ein langes, tiefblaues Kleid. Die auf einem historischen Foto in das Oberteil eingestickten Eichenblätter sind hier in das Holz eingeschnitzt und leuchtend weiß bemalt. Im Hintergrund vor dem Waldrand ist die Merianin-Skulptur zu erkennen.
Die Burg Grünsberg liegt in einem Netz abwechslungsreicher Wanderwege im „Altdorfer Land“ und die imposante, fachgerecht und aufwändig restaurierte „Sophienquelle“ mit ihrem erfrischenden Wasserrauschen ist nur wenige Minuten vom Burggelände entfernt.
Die Gegend ist aus mehreren Gründen ein lohnendes Ziel, vor allem wegen des Burgfestes, das bisher jährlich am letzten Samstag in den Pfingstferien stattfand, sowie weiteren interessanten Kulturangeboten auf der (sonst privat genutzten) Burg (zu finden bei: www.stromerstiftung.de + Klick auf „Veranstaltungen“).
Burg Grünsberg von der Straße gesehen, auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist der „Himmelsgarten“
(sämtliche Fotos: Dieter Lölhöffel)
Besuch bei der Merianin im Grünen in einem kurzen Video der Bildhauerin
Anfahrt zur Burg Grünsberg
Anfahrtswege zur Burg Grünsberg östlich von Nürnberg mit der Umgebung
Kopie mit freundlicher Genehmigung von der Website der zuständigen „Stromer‘schen Kulturgut-, Denkmal- & Naturstiftung“, die den Besitz der Burg verwaltet
Weitere vier Pläne von dieser Webseite der Stromer‘schen Stiftung mit detaillierten Informationen über Fahrrad- und Wanderwege, den nächsten Bahnhof, andere Sehenswürdigkeiten in der Nähe sowie ein Luftbild von der Burg Grünsberg sind hier zu finden.